Die Reformen des Vertrages von Lissabon

Europäische Kompetenzordnung

 

Vertragsgrundlage: Artikel 4 und 5 EUV Artikel 2 bis Artikel 6 AEUV

Wichtigste Reformen:

  • Kategorisierung der europäischen Kompetenzen
  • Konkretisierung der Leitprinzipien
  • Transparenz der Zuständigkeitsverteilung

Die Frage der Neuordnung der europäischen Kompetenzordnung war eines der zentralen Themen des europäischen Konstitutionalisierungsprozesses. Der Vertrag von Lissabon, beinhaltet nun zusammengefasst drei Veränderungen, die für die vertikale Kompetenzordnung im europäischen Mehrebenensystem von besonderer Bedeutung sind:

 

1.Die deutlich verbesserte Transparenz und Klarheit der europäischen Kompetenzordnung durch die Systematisierung und Kategorisierung der Zuständigkeitsverteilung.

2. Die Veränderungen bei der Kompetenzausübung durch die Präzisierung der vorhandenen Grundsätze.

3.Die Innovation der Ausübungskontrolle durch die Einführung neuer Verfahren und Mechanismen.

 

Die Reformierte Kompetenzordnung des Vertrages von Lissabon

 

Mit der reformierten Kompetenzordnung des Vertrags von Lissabon werden die Zuständigkeiten der Europäischen Union kategorisiert und ihre Verteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten transparenter. Die enumerative Auflistung der EU-Kompetenzen ist allerdings nicht als klassischer Kompetenzkatalog zu verstehen, sondern als Klarstellungen zu interpretieren, in welchen Politikbereichen die EU-Mitgliedstaaten ihre Rechtsetzungszuständigkeiten vollständig auf die EU übertragen haben,bzw. wo geteilte Zuständigkeiten bestehen und wo die Union lediglich über ergänzende oder Koordinierungskompetenzen verfügt.

 

Im Bereich „ausschließlicher Zuständigkeiten“ nach Artikel 2 AEUV ist nur die EU rechtssetzungsbefugt; umgekehrt dürfen die Mitgliedstaaten nur dann gesetzgeberisch tätig werden, wenn sie von der Union hierzu ausdrücklichen ermächtigt worden sind oder um EU-Rechtsakte durchzuführen. Die abschließende Auflistung der ausschließlichen Zuständigkeiten in Artikel 3 AEUV stellt klar, in welchen Bereichen die Mitgliedstaaten ihre Rechtsetzungskompetenzen vollständig auf die EU übertragen haben und über keine eigenen Gesetzgebungskompetenzen mehr verfügen. Die Liste umfasst die Politikbereiche Zollunion, Wettbewerbsregeln im Binnenmarkt, Währungspolitik für die Euro-Mitgliedstaaten, Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik und die gemeinsame Handelspolitik.

Die Liste ist kurz gehalten und knüpft weitgehend an den vorgefundenen acquis des EG-Vertrags an. Demgegenüber verfügen sowohl Union als auch die Mitgliedstaaten im Bereich der geteilten Zuständigkeiten über die Befugnis, gesetzgeberisch tätig zu werden und rechtlich verbindliche Rechtsakte zu erlassen.

 

Die Mitgliedstaaten nehmen allerdings ihre Zuständigkeiten nur solange und soweit wahr, wie die Union von ihren Zuständigkeiten keinen Gebrauch gemacht hat. Zu den Bereichen geteilter Zuständigkeiten werden in Artikel 4 AEUV der Binnenmarkt, die Sozialpolitik soweit sie in dem Vertrag erfasst wird, der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt,die Landwirtschafts-, Fischerei- und Umweltpolitik, Verbraucherschutz,Verkehr und transeuropäische Netze, Energie, die europäische Innen- und Justizpolitik sowie gemeinsame Sicherheitsanliegen im Bereich der öffentlichen Gesundheit genannt.

 

Für die Bereiche Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt sowie die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe wird als abweichende Regelung festgeschrieben,dass die Union hier nur Maßnahmen treffen und Programme erstellen darf, ohne die nationale Politiken der Mitgliedstaaten in diesen Bereichen zu behindern. Demnach wird für diese Politikbereiche eine parallele Gesetzgebungszuständigkeit vorgesehen.

Als dritte Kompetenzkategorie werden in Artikel 2 AEUV Unterstützungs-Koordinierungs- und Ergänzungsmaßnahmen genannt; dies sind Maßnahmen in den Bereichen Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit,Industrie, Kultur, Tourismus, allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, Katastrophenschutz und Verwaltungszusammenarbeit. Für diese Politikbereiche wird eine Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten ausgeschlossen.

 

Die Präzisierten Kompetenzausübungsregeln

 

Im neuen Vertrag werden auch die drei grundlegenden Prinzipien zur Übertragung und Ausübung von Zuständigkeiten ausdrücklich benannt und klarer definiert. Die Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Union erfolgt auf der Grundlage des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung in Artikel 5 EUV. Dieser Grundsatz besagt, dass alle Zuständigkeiten der Union einzeln von den Mitgliedstaaten auf sie übertragen und als solche auch im Vertrag aufgeführt sein müssen.

 

Die Organe der Union dürfen nur im Rahmen der ihnen explizit übertragenen Zuständigkeiten tätig werden und Rechtsnormen erlassen. Die Politikbereiche, die nicht durch den EUV und den AEUV auf die Union übertragen wurden, verbleiben im Umkehrschluss in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Somit wurde nochmals eindeutig klargestellt, dass die Union nicht über eine allzuständige Rechtsetzungskompetenz oder eine Kompetenz Kompetenz verfügt, sondern von den Kompetenzübertragungen der Mitgliedstaaten abhängig bleibt.

Mit dem Prinzip der Subsidiarität soll seit dem Vertrag von Maastricht sichergestellt werden, dass die EU nur in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, tätig werden darf, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedsstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihre Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.

 

Mit dem Vertrag von Lissabon wird nun die frühere Interpretation des Subsidiaritätsprinzips als „dynamisches Konzept“ erschwert, mit dem nicht nur eine Begrenzung der Gemeinschaftskompetenzen, sondern auch deren Ausweitung begründet werden konnten. Das ebenfalls in Artikel 5 EUV aufgeführte Prinzip der Verhältnismäßigkeit besagt, dass die EU grundsätzlich nur Maßnahmen ergreifen darf, die geeignet, erforderlich und angemessen sind. Ergänzt und spezifiziert werden die Definitionen der Ausübungsbeschränkungen durch das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Dort werden die Begründungspflichten der Europäischen Kommission, die Verfahrensregeln und in der Zusammenschau mit dem Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der EU – die Informations-,Kontroll- und Einspruchsmöglichkeiten der nationalen Parlamente aufgeführt.